Sächsische Zeitung vom 18.November 2003
Armes Dresden
von: Sven Geisler
Im Dresdner Stadtsäckel klafft ein riesiges
Loch. Der Rotstift regiert. Kein Grund zur Panik. Im Rathaus der Landeshauptstadt sitzen pfiffige Leute. Die Damen und Herren Beamten haben das Rudolf Harbig-Stadion als neue, sprudelnde Einnahmequelle entdeckt. Es
ist nicht etwa ein Scheich aus dem Katar aufgetaucht. der hier seiner Leidenschaft Fußball mit Stefan Effenberg und Co. frönen möchte. Potenzielle Investoren sind mit ihren kühnen Gedanken vom Neubau an der alten
Stelle ohnehin in der Vergangenheit abgeblitzt. Aus gutem Grund, wie wir jetzt wissen. Was wäre ein einmaliger großer Scheck gegen die Politik der tausenden Knöllchen?
Die Taktik ist ganz einfach. Man locke
viele Leute in das weite Rund — und reibt sich vorfreudig die Hände, denn: Mangels Plätzen müssen viele ihr Auto an eigentlich verbotenen Stellen parken. So kam es wie schon beim DFB-Pokalspiel von Dynamo Dresden
gegen den Hamburger SV auch am Sonntagabend beim Abschied von Ulf Kirsten. Während 33 000 Zuschauer auf den Rängen mit dem Dresdner Fußball-Idol feierten, gingen draußen die Ordnungshüter auf Wanderschaft und
steckten alles andere als einen lieben Gruß hinter die Windschutzscheiben.
Strafe muss schließlich sein. Warum kommen die Menschen auch zu so einer Veranstaltung nach Dresden? Noch dazu aus dem ganzen
Sachsenland. Wenn sie nicht wissen, worauf sie sich einlassen, können sie auch zu Hause bleiben, Armes Dresden.
MoPo vom 17. November 2003 bitte Bild anklicken
Sächsische Zeitung
Mittwoch, 12. November 2003
Kultstätte der Fans: das Rudolf-Harbig-Stadion.
Heimatgefühl statt Komfort - Ulf Kirsten hofft auf neue Fußball-Arena in Dresden und setzt sich für den Standort Rudolf-Harbig-Stadion ein
Von Sven Geisler
Ulf Kirsten hätte für sein Abschiedsspiel einen weitaus komfortableren Rahmen wählen können. Die "BayArena" bietet für Zuschauer und prominente Gäste gleichermaßen ideale Bedingungen. 22 500
Sitzplätze und ein moderner VIP-Bereich für knapp 800 Leuten stünden in Leverkusen, wo er 13 Jahre auf Torejagd gegangen ist, zur Verfügung. Gemessen daran, beendet der 37-Jährige seine Fußballer
-Karriere in einer Bruchbude. Das Dresdner Rudolf-Harbig-Stadion ist weit entfernt von erstklassigem Standard. Die rund 9 000 Sitzplätze waren ruckzuck ausverkauft, der eigentliche VIP-Bereich platzt aus
den Nähten, so dass zusätzlich ein 700 Quadratmeter großes Zelt aufgeschlagen wird.
Vor dem Anpfiff klar: Hier können wir nicht verlieren
Trotzdem wollte Kirsten dieses Spiel in diesem Stadion austragen. Das hat viel mit Heimatgefühl und den Erinnerungen an bessere Dresdner Fußball-Zeiten zu tun. Vor allem die Europapokal-Abende sind
dem Stürmer unvergesslich. "Das war eine phantastische Zeit. Wenn wir zwei Stunden vor Anpfiff in das Stadion gegangen sind, das mit 36 000 Zuschauern brechend voll war, um den Rasen zu prüfen,
wussten wir: Hier können wir nicht verlieren", erzählt er. Auch für diese Erlebnisse möchte er seinen Fans in Dresden danke sagen.
Der "Schwarze", wie ihn Freunde nennen, gibt jedoch zu, dass ihm "die großen Tränen kommen, wenn ich das heruntergekommene Stadion sehe". Er verstehe nicht, dass in der Fußball-Hochburg Dresden
bisher nicht möglich war, was Leipzig mit dem neuen Zentralstadion vormacht: eine Fußball-Arena zu bauen. Für Kirsten ist es keine Frage, dass die neue Spielstätte am alten Platz entstehen soll. "In
Dresden muss doch auch zu schaffen sein, was andere Städte wie Rostock hinbekommen haben, nämlich in das bestehende Rund eine moderne Arena zu setzen. Das Rudolf-Harbig-Stadion ist nun
einmal eine Kultstätte für die Fans." Beleg dafür ist eine von Dynamo-Anhängern ins Leben gerufene
Initiative "Pro-RHS", die es sich auf die Fahnen geschrieben hat, "das Rudolf-Harbig-Stadion als echte
Alternative zu teuren Stadion-Neubauprojekten wieder ins Gespräch" zu bringen. Als Ziel formuliert die Initiative, Stadt und Land zu überzeugen, sich für den Standort Lennéstraße zu entscheiden. Allerdings
wird das bei aktuellen Planungen im Dresdner Rathaus nicht in Betracht gezogen (siehe
"Nachgefragt").
Dresdner Fußball soll vom Abschied profitieren
Dennoch unterstützt Kirsten die Fans. "Ich wäre bereit zu helfen, dass es der Standort bleibt." Seit 1957 ist das Rudolf-Harbig-Stadion die Heimstätte von Dynamo. Hier feierten die Gelb-Schwarzen
sieben ihrer acht Meistertitel, hier spielten sie im Europapokal gegen Bayern München, Juventus Turin, den FC Liverpool, AS Rom und so weiter. Dieses Gänsehaut-Gefühl möchte Kirsten am Sonntag bei
seinem Abschiedsspiel noch einmal erleben. Einen erheblicher Teil des Erlöses will der 100-malige Nationalspieler in den Dresdner Fußball investieren. "Es
gibt mehrere interessante Projekte, für die ich mir eine Unterstützung vorstellen kann. Ich werde mich nach dem Spiel mit Dynamo Dresden und den entsprechenden Organisationen zusammensetzen, um
darüber zu reden", sagt Kirsten.
Nachgefragt bei: Kay Schultz
Kay Schultz, Pressesprecher der Stadt Dresden, antwortet auf die Stadionfrage.
Welche Chancen hat das Rudolf-Harbig-Stadion?
Das Stadion in der Innenstadt stößt an logistische Grenzen. Die Parkplatz-Problematik sorgt ohnehin für Ärger. Zudem wäre es problematisch, wegen größerem Zuschauer-Andrang die
Verkehrsknotenpunkte Lennéplatz und Straßburger Platz längere Zeit zu sperren. Ein Neubau sollte perspektivisch sinnvoll sein.
Wie soll es in der Stadionfrage weitergehen?
Nach der Ausschreibung für das Heinz-Steyer-Stadion im Ostragehege sind wir mit sechs Anbietern im Gespräch. Entscheidend wird die Finanzierbarkeit sein.
Was spricht für das Ostragehege?
Es macht aus unserer Sicht Sinn, dort eine Konzentration der Sportstätten zu erreichen. Der Standort ist auch verkehrstechnisch besser zu erschließen.
Gibt es einen Zeitrahmen?
Wir wollen dem Stadtrat noch in diesem Jahr einen Vorschlag wenigstens für eine vorläufige Entscheidung unterbreiten. Priorität haben die neue Eishalle und das Sportgymnasium, weil für diese
Projekte der Planungsstand weiter ist.
Welche Eckdaten gibt es für ein neues Stadion?
Die Ausschreibung läuft für 30 000 Sitzplätze. Noch nicht entschieden ist die Frage, ob es eine
Leichtathletik-Bahn geben wird.
Dresdner Wochenkurier vom 11.November 2003
Einwurf - Noch einmal dabei sein
von: Gert Zimmermann
Und wieder einmal trifft sich die Fußballwelt im Dresdner Rudolf-Harbig-Stadion. Dank Ulf Kirstens Idee, sein Abschieds-spiel bei seinem Ausbildungsverein Dynamo steigen zu lassen. Und die Dresdner
Fußballfans honorieren diese Aktion mit Teilnahme. Noch einmal dabei sein, noch einmal erinnern an die großen Zeiten des schwarz-gelben Kreisels. Noch einmal das alte Sitzkissen raussuchen. Denn
schon der Besitz der Jahreskarte war wie der damalige Fünfer im Lotto. Dynamos Europapokalspiele waren gesellschaftliche Ereignisse. Bis zur Wende. Dann sollte Dynamo schon wegen seines Namens
eliminiert werden. So wollte es die Politik. Das Volk wollte es anders. Und deshalb strömt das Volk jetzt wieder in Richtung Stadion, muss keine Angst haben, dass sich dort irgend etwas verändert hat.
Korrekterweise muss allerdings auch erwähnt werden, dass Dynamo nach des Sonnenkönig Ottos Abtritt Kölmels Geld mit vollen Händen in den Wind schoss und in alle Richtungen streute.
In Leipzig steht inzwischen die WM-Arena. Weil es die Politik so wollte. Doch in Leipzig interessiert sich momentan kein Mensch für das teure Areal, in dem auch in den nächsten Monaten keine Wettkämpfe
stattfinden werden. Weil kein Zuschauer ohne Probleme an- und auch wieder abfahren kann, musste die Politik schon wieder eingreifen. Für infrastrukturelle Maßnahmen wurden 100 Millionen Euro vom
Freistaat Sachsen zugesichert. Denn die Stadtkasse von Leipzig ist genau so leer wie die in Dresden.
Als im Sommer die Bayern aus München exklusiv ihr Trainingslager für eine Woche in die Heldenstadt
nach Leipzig verlegten und als Höhepunkt gegen eine Stadtauswahl antrat, interessierte dieses Spiel nur die Bayern-Fans. Nur mal zur Erinnerung. In Leipzig steht also die Schüssel, in Dresden ist das
Potenzial. Und wenn die fünf WM-Begegnungen an der Pleiße in drei Jahren gespielt sind, wollen wir doch mal schauen, was aus der teuren Sportstätte wird. Deshalb sind die Dynamos förmlich zum
Aufstieg in die zweite Liga verpflichtet, damit in unserem Rathaus endlich der sanfte Druck immer stärker wird auf die Volksvertreter. Der Sonntag mit einem ausverkauften Haus dürfte letzte Zweifel
beseitigen, wer warum wohin geht.