Jahr 2012


Sächsische Zeitung, 12. Dezember 2012

Bundesligaclubs verabschieden Sicherheitskonzept

Mit großer Mehrheit haben sich die 36 Proficlubs aus 1. und 2. Bundesliga auf das neue Sicherheitskonzept im deutschen Fußball geeinigt. Ligapräsident Rauball sieht den Fußball als Gewinner. Fanvertreter sind sauer.

Frankfurt/Main. Die Deutsche Fußball Liga (DFL) atmet erleichtert auf: Die 36 Proficlubs aus 1. und 2. Bundesliga haben das neue Sicherheitskonzept im deutschen Fußball mit großer Mehrheit verabschiedet und alle 16 Anträge abgesegnet. "Ich glaube, dass unter dem Strich der professionelle Fußball als Gewinner aus der Veranstaltung herausgeht", sagte Ligapräsident Reinhard Rauball nach der Ligaversammlung am Mittwoch in Frankfurt/Main und versicherte, die Beschlüsse würden die Fußballkultur in Deutschland nicht gefährden.

Konzept wird bald veröffentlicht

Wie aber beispielsweise die Einlasskontrollen künftig genau aussehen sollen und ob die Anzahl von Gästetickets bei Risikospielen begrenzt werden kann, war zunächst genauso wenig bekannt wie andere Details der Einigung. Nach Angaben der DFL sollen unter anderem die Fan-Beauftragten verstärkt einbezogen werden, für Pyro-Technik gebe es auch künftig keinen Spielraum. Die DFL kündigte an, das gesamte Konzept zeitnah zu veröffentlichen.

Bei den meisten Anträgen gab es nach Angaben von Rauball eine Zustimmung von mindestens 90 Prozent. Den Vorstoß des Zweitligisten FC St. Pauli auf Verschiebung des Votums hätten fünf Clubs unterstützt, sagte Rauball. 31 Vereine lehnten dies ab.

DFB-Präsident Niersbach: "Wichtiges Zeichen für den Fußball"

Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) begrüßte die Entscheidung. "Dass die deutliche Mehrheit der Lizenzvereine Geschlossenheit demonstriert und für das Sicherheitskonzept gestimmt hat, ist ein wichtiges Zeichen für den gesamten Fußball und die überwältigende Mehrheit der friedlichen Fans in Deutschland", sagte DFB-Präsident Wolfgang Niersbach, der mit dem deutschen U 18-Team in Israel weilte.

Fanvertreter kündigen weitere Proteste an

Die Vertreter der Vereine einigten sich in einer gut einstündigen nichtöffentlichen Sitzung auf das besonders bei Fanvertretern umstrittene Maßnahmenpaket. Philipp Markhardt, Sprecher der Organisation "ProFans" wertete die Entscheidung als "absolut negativ" und kündigte weitere Proteste an. "Wir machen uns nicht zum Büttel von Herrn Rauball", sagte Markhardt der Nachrichtenagentur dpa. Fanvertreter hätten von Beginn an in einen Dialog mit einbezogen werden müssen. "Der Stil ist unter jeder Kanone." Die Zweitligisten Union Berlin und FC St. Pauli teilten mit, allen 16 Anträgen die Zustimmung versagt zu haben.

Sicherheitskonzept ist so gut wie beschlossen

Die Punkte, die die DFB-Richtlinien betreffen, müssen vom DFB-Präsidium bei seiner Sitzung am 25. Januar noch abgesegnet werden. Dabei könne es aber nur "unwesentliche inhaltliche Anpassungen" geben, so die Deutsche Fußball Liga. "Wir haben uns von den Fans nicht entfernt, es scheint nur in der Kommunikation etwas schiefgelaufen zu sein", erklärte Karl-Heinz Rummenigge, Vorstandsvorsitzender des FC Bayern München am Rande der Veranstaltung.

Innenminister von Bund und Ländern hatten DFL, DFB und die Vereine aufgefordert, nach vermehrten Ausschreitungen in den Arenen zu einer Entscheidung zu kommen. Rauball verlangte von der Politik nach den zum Teil hitzigen Debatten der vergangenen Wochen, von Drohungen in Richtung der Verbände, Vereine und Fans, etwa in Bezug auf die Bezahlung von Polizeieinsätzen, abzusehen. Solche Drohungen müssten "ein für alle Mal vom Tisch sein", monierte der Präsident von Borussia Dortmund.

DFB-Präsident Rauball lobt Votum der Vereine

Zugleich lobte Rauball das Votum der Clubs, das seiner Ansicht nach die Autonomie des Liga-Verbandes stärke. Nichts sei schlimmer, als eine Verbandsautonomie zu haben, aber dennoch "nach Vorstellung der anderen" arbeiten zu müssen, sagte er. Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) sprach von einem guten Tag für die Sicherheit bei Fußballspielen und forderte die Clubs auf, die Vorhaben umzusetzen: "Mit den Beschlüssen setzen die Vereine ein deutliches Signal für mehr Sicherheit."

Polizeigewerkschaft: "Es war höchste Zeit"

Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) zeigte sich ebenfalls von der Verabschiedung des Sicherheitskonzepts erfreut. „Es war höchste Zeit, dass der zunehmenden Gewalt in und um deutsche Fußball-Stadien mit konkreten Maßnahmen begegnet wird. Die Richtung, die die DFL jetzt einschlägt, ist nachvollziehbar", erklärte der DPolG-Bundesvorsitzender Rainer Wendt. Das Papier war nach dem Sicherheitsgipfel mit Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), Lorenz Caffier (CDU), Vorsitzender der Innenministerkonferenz, DFB und Ligaverband im vergangenen Juli in Berlin entstanden.

Dynamo-Fans protestierten erneut in Frankfurt

Mehrere hundert Fans hatten sich trotz bitterer Kälte vor dem Frankfurter Hotel versammelt, ein Polizeiaufgebot riegelte die Tagungsstätte ab. An den vergangenen drei Spieltagen hatten die Anhänger in den Bundesliga-Stadien mit ihrer Schweige-Aktion über 12 Minuten und 12 Sekunden lautlos, aber eindrucksvoll protestiert. Zudem gab es am vergangenen Wochenende noch Demonstrationen.

Die Fans hatten es bislang nicht geschafft, Übeltäter in ihren Reihen auszugrenzen. Mit dem Urteil gegen die Gewalttäter von Dynamo Dresden hatte die Entscheidung weiteren Zündstoff bekommen. Nach dem Ausschluss des Zweitligisten vom DFB-Pokal der nächsten Saison durch das DFB-Sportgericht protestierten Dynamo-Anhänger auch am Mittwoch in Frankfurt gegen das neue Konzept. (dpa)


Tagesspiegel, 11. Dezember 2012

Die Last der Ränge

Eine Million Euro. Auf diese Summe schätzt Christian Müller den Schaden. Der Geschäftsführer des Zweitligisten Dynamo Dresden sagt: „Das ist eine wirtschaftlich einschneidende Bestrafung.“ Er meint das Urteil vom Montagabend, gefällt durch das Sportgericht des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Demnach darf Dynamo Dresden in der kommenden Saison nicht im DFB-Pokal antreten, weil Teile der Fans vor zwei Monaten beim Pokalspiel der zweiten Runde bei Hannover 96 zum wiederholten Male durch Randale aufgefallen sind.
Kommentar: Dynamo Dresden: Ein billiges Opfer

Der finanzielle Verlust ist das eine. Sachsens Innenminister Markus Ulbig regte Konsequenzen an: „Die Vereine und die Mehrheit der Fans müssen sich von diesen Chaoten nicht nur klar distanzieren, sie sollten auch über Schadensersatz nachdenken“, sagte Ulbig. Auf der anderen Seite steht ein enormer Imageschaden. Es sind mal wieder wenig erfreuliche Zeiten, die der Fußballverein Dynamo Dresden gerade durchlebt. Sportlich läuft es nicht, in der Zweiten Liga ist die Mannschaft Drittletzter. Am Sonntag wurde Trainer Ralf Loose nach der Weihnachtsfeier entlassen. Und dann der ständige Ärger, den einige Fans regelmäßig verursachen.

Es gibt nicht viele Vereine im deutschen Fußball, die derart unter den eigenen Anhängern leiden wie Dynamo Dresden. Dabei verfügt der Verein über riesiges Potenzial. Das neue Stadion ist meistens voll, Dynamo gehört in der Zweiten Liga zu den Vereinen mit den meisten Zuschauern. Als Dynamo um die Jahrtausendwende bis in die vierte Liga abstürzte, stellte der Klub einen Zuschauerrekord nach dem nächsten auf. Manchmal kamen 10 000 Fans zu den Spielen in der Oberliga.
Die Begeisterung für den Fußballverein ist tief in der Stadt verwurzelt, Dresden ist ein traditioneller Fußballstandort. In der DDR zählte Dynamo zu den erfolgreichsten Vereinen und erfreute sich auch außerhalb Sachsens großer Beliebtheit. Viele sympathisieren mit Dresden, weil der Verein als einer der wenigen sportlich mit dem von der Sportpolitik protegierten BFC Dynamo aus Berlin mithalten konnte. Regelmäßig nahm man am Europapokal teil. Es gab Spiele gegen den FC Bayern München , Liverpool und Juventus Turin. Zur Wendezeit traten dann die ersten größeren Probleme mit den eigenen Anhängern auf. Bei der bis heute letzten Europapokal-Teilnahme in der Saison 1990/91 kam es im Rückspiel gegen Roter Stern Belgrad zu schweren Ausschreitungen. Beim Stand von 1:2 musste das Spiel abgebrochen werden, Dresden wurde in der Folge für den internationalen Wettbewerb gesperrt.

In den Neunzigern versank der Verein unter Führung des hessischen Bauunternehmers Rolf-Jürgen Otto im Chaos, nach drei Jahren in der Bundesliga wurde Dresden 1995 wegen finanzieller Schwierigkeiten die Lizenz entzogen. Dynamo wurde in die Dritte Liga strafversetzt – ein ungewöhnlich hartes Urteil, das bis heute auf Kritik stößt. „Dresden wurde als einziger Verein von der Ersten in die Dritte Liga heruntergestuft. Jetzt wird Dresden als erster Verein aus dem DFB-Pokal ausgeschlossen. An Dynamo wird wieder ein Exempel statuiert“, sagte Eduard Geyer dem Tagesspiegel. Geyer war erst als Spieler und später als Trainer viele Jahre für Dynamo aktiv.

Anfang 2012 hieß es schon einmal, Dresden werde ungewöhnlich hart bestraft. Dynamo war für die aktuelle Saison wegen früherer Ausschreitungen gesperrt, das Bundesgericht des DFB wandelte das Urteil im Februar jedoch in eine Strafe von 100 000 Euro und einem Geisterspiel in der Zweiten Liga um.

Dieses Mal wird wohl nichts umgewandelt. Der Verein überlegt sogar, ob er überhaupt in Berufung gehen sollte. Die Aussichten auf Erfolg sind gering. Das Bundesgericht hatte den Verein damals ausdrücklich gewarnt. Sollte es erneut zu Ausschreitungen kommen, werde der Verein vom Pokal ausgeschlossen.

Auch deshalb halten einige Fans eine Berufung von vornherein für sinnlos. Im Internet haben sie eine Gruppe gegründet, „6 dynamische Heimspiele sind geiler als der DFB-Pokal 2013/14“. Sie fordern, dass der Verein immer dann Freundschaftsspiele gegen internationale Gegner austrägt, wenn die anderen Klubs im DFB-Pokal spielen. Das wäre gleichzeitig eine Möglichkeiten, den finanziellen Schaden zu reduzieren. Auch wenn eine Million Euro dabei nur schwer zusammenkommen dürfte.


SportBILD, 10. Dezember 2012

VOR DFB-VERHANDLUNG
Exklusiv: Nur Geisterspiele für Dynamo Dresden

Mit flauem Gefühl im Magen werden die Verantwortlichen von Dynamo Dresden an diesem Montag ab 11 Uhr zur Verhandlung vor dem DFB-Sportgericht in Frankfurt erscheinen. Sie müssen befürchten, dass Dynamo nach den schweren Ausschreitungen der Fans beim DFB-Pokalspiel am 31. Oktober in Hannover (5:4 n. E.) in der nächsten Saison vom Pokal ausgeschlossen wird.
Diese Strafe war schon 2011 gegen den Zweitligisten nach Ausschreitungen im Pokal in Dortmund verhängt worden. Damals war das Urteil aber in einer Berufungsverhandlung vor dem DFB-Bundesgericht abgemildert worden in ein Geisterspiel ohne Zuschauer und 100 000 Euro Strafe. „Als letzte Warnung“, wie es damals von DFB-Seite hieß.

SPORT BILD Plus erfuhr aus dem Umfeld des DFB-Sportgerichts: Auch diesmal wird Dresden mit einem blauen Auge davonkommen. Ein Ausschluss aus dem DFB-Pokal ist nicht möglich, weil dieser gegen die DFB-Satzung verstoßen würde. Stattdessen sollen mehrere Geisterspiele gegen Dynamo verhängt werden.

„Es kann zwar eine Bestrafung gegen Klubs ausgesprochen werden, Art und Umfang der Bestrafung müssen aber vorher grundsätzlich erkennbar sein“, erklärt der Frankfurter Sportrechtler Thomas Dehesselles. Als regelgerechte Bestrafung würden in Paragraf 7 der Rechts- und Verfahrensordnung etwa die Platzsperre und der Ausschluss der Öffentlichkeit für ein Spiel aufgeführt.

Dehesselles verweist auf Paragraf 49 der Durchführungsbestimmungen und Paragraf 45 der Spielordnung: „Der Ausschluss eines Teilnehmers vom Wettbewerb ist ausdrücklich nur für den Fall genannt, dass dieser nicht rechtzeitig zum DFB-Pokal gemeldet wird. Damit dürfte sich im Umkehrschluss ergeben, dass für die Fälle ,Randalierende Fans' bis hin zum ,Stadion-Sturm' die Sanktion eines Ausschlusses vom Wettbewerb nicht vorgesehen und damit unzulässig sein dürfte.“
Eine Pokal-Verbannung würde für Dynamo einen Einnahmeverlust in mindestens sechsstelliger Höhe bedeuten. Alleine in Runde eins gibt es 100 000 Euro DFB-Prämie, dazu kommt das TV-Geld.

Jetzt wappnet sich der DFB für die Zukunft: Durch eine Satzungsänderung auf dem DFB-Bundestag Ende Oktober 2013 in Nürnberg soll ein Ausschluss aus dem Pokal rechtlich möglich werden.

Bei den Krawallen in Hannover hatten gewaltbereite Dresdner vor dem Spiel die Stadioneingänge an der Südtribüne gestürmt. 18 Dynamo-Chaoten waren in Gewahrsam genommen und drei Personen wegen Körperverletzung vorläufig festgenommen worden. Insgesamt gab es neun Verletzte.